Formulierungen und Fallstricke
Arbeitszeugnisse begleiten einen oft ein Leben lang. Deshalb lohnt es sich, auch noch so gut klingende Zeugnisse einem gründlichen Check zu unterziehen – denn mancher Arbeitgeber versteckt zum Abschied noch eine fiese Formulierung darin.
Bewertungen in Arbeitszeugnissen klingen fast immer positiv – und das müssen sie auch, denn prinzipiell hat jeder Arbeitnehmer beim Verlassen des Unternehmens einen Anspruch auf ein wohlwollendes Zeugnis, das sein berufliches Fortkommen nicht erschwert, soweit jedenfalls die Leitlinie des Bundesarbeitsgerichts (BAG).
Doch treibt die von Juristen und Personalverantwortlichen entwickelte Zeugnissprache mitunter seltsame Blüten: Soll sie doch einerseits ausscheidenden Mitarbeitern zu erfolgreichen Bewerbungen verhelfen, andererseits aber auch potenzielle neue Arbeitgeber wahrheitsgemäß informieren. Hier kommt häufiger als vermutet der Geheim-Code Arbeitszeugnis ins Spiel!
Kernbestandteil eines jeden qualifizierten Arbeitszeugnisses ist die abschließende Leistungsbeurteilung, auf die Personalverantwortliche– neben der Schlussformulierung –zuerst schauen: „Die ihm übertragenen Aufgaben erledigte er zu unserer vollen Zufriedenheit“ oder „Ihre Leistungen haben in jeder Hinsicht unseren Erwartungen entsprochen“ klingen erst einmal gut.
Aber was im alltäglichen Sprachgebrauch durchaus von Zufriedenheit zeugt, gilt in der standardisierten Zeugnissprache gerade mal als Note 3 – und damit in Zeiten von Gefälligkeitszeugnissen mit Note 1 („stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“) oder zumindest 2 („stets zu unserer vollen Zufriedenheit“) als unterdurchschnittlich. Dennoch hat das BAG die reale Arbeitsleistung und nicht den bundesweiten Notendurchschnitt als Maßstab genommen und die Note 3 noch als „wohlwollend“ und damit rechtmäßig eingestuft.
Tipp Geheim-Code Gesamtbewertung: Mit einem Arbeitszeugnis ohne Formulierungen, die „stets“ oder die grammatikalisch falsche Steigerung von voll – voller – „vollsten“ enthalten können Sie bei Bewerbungen nicht punkten. Lieber für das Sprachempfinden ein Füllwort oder eine Steigerungsform zu viel im Zeugnis als zu wenig. Dann klappt`s auch mit der Bewerbung.
In die abschließende Gesamtbeurteilung fließen einige Einzelbewertungen ein – wichtig ist hier, dass das Bild stimmig ist und einzelne Formulierungen nicht im Widerspruch zueinander stehen. Einzelbewertungen sollten zu allen folgenden Punkten im Arbeitszeugnis enthalten sein:
Entsprechen die Einzelbewertungen im Zeugnis durchweg guten bis sehr guten Noten, die Gesamtbewertung aber nur einem Befriedigend, so deutet das auf eine bewusste Abwertung Ihres ehemaligen Vorgesetzten hin. Diese wird ausscheidenden Mitarbeitern auch gern mit weniger üblichen Formulierungen wie „Sie hat unseren Erwartungen in jeder Hinsicht entsprochen“ oder „Er erledigte seine Aufgaben stets pflichtbewusst und umsichtig, sodass wir mit seinen Leistungen voll zufrieden waren“ untergeschoben.
Wenngleich sich Personaler im Arbeitszeugnis gern auf die Gesamtbewertung und die Schlussformulierung fokussieren, lohnt es sich durchaus, auch die Einzelbewertungen zu checken. Hier steckt die Tücke im Detail und es verlangt schon einige Übung, um das Richtige zwischen den Zeilen zu lesen. Eine Formulierung wie „Sie hat alle Arbeiten ordnungsgemäß und pflichtbewusst erledigt“ bedeutet im Personalerdeutsch so viel wie: Sie ist eine Erbsenzählerin ohne Eigeninitiative. Und „Er hat gewissenhaft gearbeitet“ zeugt eher von regelmäßiger Anwesenheit als von Leistungsbereitschaft.
Tipp Geheim-Code Einzelbewertungen: Prüfen Sie, ob Ihr Arbeitszeugnis tatsächlich alle Leistungsaspekte aus der Liste oben abdeckt oder wichtige Punkte wie Arbeitserfolge oder Führungserfahrung (und das kann auch schon eine Projektleitung sein) unerwähnt lässt. Sollten Sie über widersprüchliche oder ungewöhnliche Formulierungen in Ihrem Arbeitszeugnis stolpern, dann unbedingt von einem Profi gegenchecken lassen.
Auch hier gilt: Mehr ist auch mehr. Nur, wenn wirklich alle Personengruppen aus Ihrem Arbeitsleben – und diese unbedingt in der richtigen Reihenfolge – genannt sind, dann haben Sie eine Bestnote in Ihrem Arbeitszeugnis stehen, etwa: „Ihr Verhalten gegenüber (1) Vorgesetzten, (2) Kollegen und (3) Kunden war stets einwandfrei/vorbildlich“. Schon eine Umstellung der Reihenfolge weist auf Missstimmung oder gar Missverhalten hin.
Wer im Zeugnis allerdings als „ein gesuchter Gesprächspartner“ bezeichnet wird, dem bescheinigt der Ex-Arbeitgeber eher zu viele Privatgespräche während der Arbeitszeit. Aber das ist noch harmlos. Eine Formulierung wie „Im Kollegenkreis galt er als toleranter Mitarbeiter“ deutet auf Schwierigkeiten mit dem Chef hin. Und richtig heikel wird es bei Formulierungen wie „Durch seine Geselligkeit trug er zu einem guten Betriebsklima bei“, was ein Alkoholproblem umschreibt. Oder „Für die Belange der Belegschaft bewies sie Einfühlungsvermögen“, was Affairen am Arbeitsplatz offen legt.
Geheim-Codes in Arbeitszeugnissen sind zwar nach §109 Absatz 2 der Gewerbeordnung unzulässig, doch spicken Vorgesetzte oder Personaler – insbesondere bei nicht einvernehmlichen Trennungen – zum Abschied immer wieder gern die Arbeitszeugnisse unliebsamer Mitarbeiter damit. Dabei haben ausscheidende Mitarbeiter eindeutig einen Anspruch auf ein klar und verständlich formuliertes Arbeitszeugnis, das keine versteckten Negativ-Formulierungen enthält. So bereits das Urteil vom Bundesgerichtshof aus dem Jahr 1963 (siehe Info-Kasten).
Tipp Geheim-Code Sozialverhalten: Lieber auf eindeutig positiven Standardformulierungen bestehen als individuelle Beurteilungen akzeptieren, die schwer einzuordnen sind. Denn viele Arbeitnehmer entdecken nachteilige Aussagen zwischen den Zeilen nicht – insbesondere, wenn das Zeugnis in der Leistungsbewertung positiv klingt.
Ähnlich tricky wie die Verhaltensbeurteilung ist die Abschlussformulierung im Arbeitszeugnis, darin dankt der Arbeitgeber seinem Mitarbeiter im Idealfall für die geleistete Arbeit, bedauert das Ende der Zusammenarbeit und wünscht ihm alles Gute für die Zukunft. Sollten Sie zu den Arbeitnehmern zählen, die ihr Zeugnis selbst vorformulieren sollen, weil ihr Vorgesetzter keine Zeit dafür findet oder sich mit einem ohnehin ausscheidenden Mitarbeiter nicht mehr als nötig beschäftigen will: Auch an dieser Stelle bitte keine Experimente mit Auslassungen oder Umstellung der Reihenfolge!
Eine „sehr gute“ Standardformulierung in Arbeitszeugnissen ist zum Beispiel: „Wir danken Herrn X für seine stets sehr gute/exzellente Mitarbeit und bedauern sehr, diesen äußerst engagierten und erfolgreichen Mitarbeiter zu verlieren. Wir wünschen ihm für die Zukunft weiterhin viel Erfolg und persönlich alles Gute!"
Schon kleinste Veränderungen an der Dankes-Bedauerns-Zukunft-Formel können zur Abwertung führen. Der Dank für die langjährige Zusammenarbeit wird schnell relativiert, wenn kein Bedauern für das Ausscheiden folgt. Auch bei den Zukunftswünschen sind Wünsche wie „viel Glück“ anstelle von „weiterhin viel Erfolg“ sin in einem Arbeitszeugnis ein eindeutiger Hinweis auf erfolglose Bemühungen beim bisherigen Arbeitgeber.
Allerdings haben Arbeitnehmer in Deutschland keinen Anspruch auf eine vollständige Schlussformel: Das Bundesarbeitsgericht hat 2012 noch einmal bestätigt, dass „der Arbeitgeber gesetzlich nicht verpflichtet ist, das Arbeitszeugnis mit Formulierungen abzuschließen, in denen er dem Arbeitnehmer für die geleisteten Dienste dankt, dessen Ausscheiden bedauert oder ihm für die Zukunft alles Gute wünscht.“ [...] Auch wenn dem Arbeitnehmer in der Praxis, insbesondere in Zeugnissen mit überdurchschnittlicher Leistungs- und Verhaltensbeurteilung, häufig für seine Arbeit gedankt würde, könne daraus mangels einer gesetzlichen Grundlage kein Anspruch auf eine Dankesformel abgeleitet werden (Urteil des BAG vom 11.12.2012, 9 AZR 227/11 [4]).
Im Umkehrschluss ist es nur leider so, dass auch noch so gute Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen im Zeugnis durch eine unvollständige Dankes-Bedauerns-Zukunft-Formel relativiert, wenn nicht sogar nichtig werden. Denn viele Personaler lesen diese Abschlussformulierung gerade deshalb so genau, weil darauf kein Rechtsanspruch besteht – und deuten vor diesem Hintergrund sämtliche vorangegangen Beurteilungen im Arbeitszeugnis (um).
Tipp Geheim-Code Sozialverhalten: Sind Dank, Bedauern und Zukunftswünsche eindeutig positiv und in der richtigen Reihenfolge? Sobald ein Bestandteil fehlt, unbedingt mit dem Arbeitgeber reden, auch wenn kein Rechtsanspruch besteht. Ansonsten sieht es schlecht(er) aus mit der Bewerbung.
In der Schlussformulierung des Arbeitszeugnisses sollte auch unbedingt der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses genannt werden. Denn keine Begründung ist die schlechteste Variante, weil sie viel Raum für Spekulationen lässt.
Optimal ist natürlich, wenn der Arbeitnehmer auf eignen Wunsch wechselt, um übergangslos eine neue Stelle oder sogar eine Führungsposition anzunehmen. Auch Begründungen wie „Herr X verlässt uns auf eignen Wunsch, um sich selbstständig zu machen“ oder „Frau X verlässt uns auf eignen Wunsch, weil ihr Ehemann ins Ausland versetzt wurde“ sind durchaus akzeptierte Gründe.
Weniger optimal sind hingegen Formulierungen wie „Das Arbeitsverhältnis endet im gegenseitigen Einvernehmen“. Eine solche Formulierung deutet auf die Kündigung des Arbeitgebers hin und dahinter wird dann meist eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung vermutet – es sei denn, der Arbeitgeber nennt seinerseits die Gründe.
Das können Firmenfusionen, Umstrukturierungen oder Insolvenzen sein – und in diesen Fällen hat der Arbeitnehmer auch einen Anspruch darauf, dass die Betriebsbedingtheit der Kündigung im Arbeitszeugnis zum Ausdruck kommt: „Leider müssen wir das Arbeitsverhältnis mit Frau X betriebsbedingt wegen Schließung unserer Filiale in Düsseldorf beenden. Bedauerlicherweise können wir ihr auch zurzeit keine Weiterbeschäftigung auf einer anderen Stelle des Unternehmens anbieten.“
Dass es sich tatsächlich ausschließlich um betriebsbedingte Gründe handelt, kann durch eine ergänzende Formulierung im Zeugnis wie „Wir würden es begrüßen, wenn sich Frau X bei erneutem Personalbedarf wieder bei uns bewerben würde“ unterstrichen werden.
Zwar darf der Arbeitgeber weder verhaltens- noch personenbedingte Kündigungsgründe in das Zeugnis schreiben, wird dies aber in der Regel durch die Formulierung „Das Arbeitsverhältnis endet am (Datum)“ zum Ausdruck bringen. Auch die Fristlosigkeit einer Kündigung darf nicht erwähnt werden – diese ergibt sich aber für Kenner aus dem „krummen“ Datum des Vertragsendes.
Tipp Geheim-Code Kündigung: Sollten Sie eine Kündigung erhalten haben und sich in Rechtsstreitigkeiten mit dem Arbeitgeber befinden, so empfiehlt es sich, auch ein gutes Zeugnis mit einer akzeptablen Abschlussformulierung mit in die Verhandlungsmasse einzubringen – auch, wenn kein Rechtsanspruch auf eine konkrete Formulierung im besteht.
Die gute Nachricht zum Schluss: Die Zeugnissprache hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr zum Positiven verändert, die durchschnittliche Note liegt mittlerweile bei 1,9. Das kann einerseits dazu führen, dass Bewerber mit einem schlechteren Zeugnis auch weniger Erfolgschancen bei einer Bewerbung haben – oder aber ins genaue Gegenteil umschlagen und die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen infrage stellen.
So gehen manche Personalverantwortliche insbesondere in Bewerber intensiven Branchen dazu über, sich nur noch das letzte Zeugnis genauer und darin insbesondere die freiwillige Dankes-Bedauerns-Zukunft-Formel anzusehen. Aber natürlich gibt es auch nach wie vor gut besetzte Personalabteilungen in Unternehmen und im öffentlichen Dienst, die sich die Mühe machen, alle Unterlagen gewissenhaft zu lesen und auf Negativformulierungen und Unstimmigkeiten hin zu überprüfen.
Am Ende entscheiden meist der Gesamteindruck der Bewerbungsunterlagen und insbesondere der persönliche Eindruck im Gespräch. Trotzdem: Wenn eins der aktuelleren Zeugnisse ganz und gar nicht stimmt, ist die Einladung zum Vorstellungsgespräch oder ins Assessment Center eher unwahrscheinlich.
Gänzlich ohne gute bis sehr gute Zeugnisse geht es also nicht. Dabei steigt die Bedeutung von Arbeitszeugnissen mit den Anforderungen an die Stelle und an die Qualifikationen der Bewerber. Ein Bankangestellter oder eine Projektmanagerin wird seinen Arbeitsplatz wohl kaum ohne entsprechende Zeugnisse wechseln können – ab einer gewissen Hierarchiestufe jedoch sinkt die Bedeutung des Arbeitszeugnisses auch wieder. Im Top-Management sind Arbeitszeugnisse dann so gut wie irrelevant, dort ist der (vorauseilende) Ruf entscheidend.
Gewerbeordnung § 109 Zeugnis
(1) Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken.
(2) Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.
(3) Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen.