Den Sinn und Zweck dieser ein- bis dreitägigen Auswahlverfahren verrät schon das Verb von dem das Assessment Center abgeleitet ist: „to assess someone“ bedeutet jemanden beurteilen, einschätzen, den Wert feststellen.
Bei den Kandidaten hingegen ist diese Art der Bewerbung weniger beliebt: Fach- und vor allem Führungskräfte erwarten, dass man sich für sie persönlich interessiert und ein Gespräch auf Augenhöhe führt. Noch weniger ist ein AC bei internen Beförderungen einzusehen, gehen qualifizierte Kräfte doch davon aus, dass ihre Vorgesetzten ihren Wert kennen – und zu schätzen wissen. Auch die Trainees der Generation Y, die nach 1980 Geborenen, sehen AC skeptischer als noch die Generation X, und lassen sich nur ungern in Dauerstress versetzen.Dennoch: Insbesondere Berufseinsteiger, aber auch Fachkräfte, die eine Karriere in einem Konzern oder auch im öffentlichen oder sogar diplomatischen Dienst anstreben, kommen kaum um dieses ein- bis dreitägige Auswahlverfahren herum. Schließlich soll nur den Besten der Besten Zugang zu diesen gefragten Häusern gewährt werden.
karriere.direct führt durch die wichtigsten Bestandteile des Assessment Centers und gibt Bewerberinnen und Bewerbern Tipps für die Vorbereitung.
Durchschnittlich nehmen acht bis zwölf Bewerber an einem Assessment Center teil und es wird in Parallelgruppen oder an aufeinanderfolgenden Terminen getestet. Oft geht es dabei auch um mehrere offene Stellen. Womöglich wird sogar ein komplett neues Team zusammengestellt und in dem AC geprüft, wie gut die einzelnen Bewerber zusammenarbeiten würden. Oder ein kompletter Nachwuchsjahrgang im öffentlichen Dienst rekrutiert – und womöglich auf Diversität geachtet.
Die meisten Assessment Center beginnen – wie bei einer üblichen Bewerbung – mit einer scheinbar harmlosen Vorstellungsrunde: Diese ist die perfekte Gelegenheit für die eigene Selbstpräsentation – oder für den ersten Faux Pas. Schließlich möchte niemand mit dem chronologischen Herunterbeten des Lebenslaufes gelangweilt werden.
Nehmen Sie die PR in eigener Sache also ernst und bereiten sich gut vor, am besten mit einer längeren (10 Minuten) und einer Kurzversion (3 Minuten), je nach AC kann das eine oder andere verlangt werden. Stellen Sie also unbedingt heraus, warum Sie die Stelle interessiert und was Sie persönlich auszeichnet. Es kann aber auch sein, dass im AC ein Schwerpunkt für die Vorstellung vorgegeben wird, beliebt ist etwa: Berichten Sie über ihre relevante Stärken und Schwächen für diese Position. Und das will besonders gut überlegt und vorbereitet sein.
Genauso wichtig wie der Inhalt ist die Art und Weise der Präsentation: Ist das Erzählte strukturiert, wie ist die Mimik und Gestik, wie die Rhetorik des Bewerbers? Lautes Vorsprechen vor dem Spiegel oder vor Freunden hilft, Gestammel oder überlange Reden zu vermeiden. Oft entspricht die gefühlte Dauer nicht der tatsächlichen.
Eine weitere gute Übung für die Kurzpräsentation ist der „Elevator Pitch“: Hier hat ein Kandidat, der den (potenziellen) Chef zufällig im Aufzug trifft, nur wenige Sekunden Zeit bis die Tür sich öffnet und er wieder aussteigt – bis dahin gilt es, sich und seine Fähigkeiten oder Lösungen für bestimmte Aufgabe glaubhaft zu präsentieren.
Der Vorstellungsrunde folgen eine Reihe von Übungen mit denen Personalverantwortliche gern die Eignung der Bewerber testen: Passen die Leistungen zum Jobprofil, passt diese Person zum Unternehmen? Der Kompetenzcheck kann durch ein fachliches Interview, mit standardisierten Tests oder je nach Branche auch individuellen Übungen vollzogen werden.
Ein Klassiker des Assessment Centers ist die Postkorb-Übung. Der Kandidat erhält eine Liste mit Aufgaben sowie eine Einschätzung, wie lange jede Aufgabe dauern wird – und ein Zeit-Budget. Nun sollen diese Aufgaben nach Wichtigkeit geordnet werden. Der Zeitrahmen ist so gesetzt, dass nicht alles zu schaffen ist. Manchmal stehen auch private Verpflichtungen in den Aufgaben. Es muss also sehr gut priorisiert werden. Anhand der Übung zeigen die Kandidaten, wie sie sich und ihren Workflow organisieren und strukturieren – und auch, wie realitätsnah sie sind. Kniffelig sind hier Aufgaben wie "Kind abholen" und "Meeting mit dem Chef".
Ein schneller Wechsel zwischen verschiedenen Aufgabentypen gilt als Maßstab dafür, wie flexibel Sie sind, ob Ihr Zeitmanagement stimmt und ob sie auch unter Zeitdruck konzentriert arbeiten können. Sie halten sich für schnell, konzentriert und stressresistent? Mittlerweile sind viele Interviews – auch bei „normalen“ Bewerbungen – darauf angelegt, Sie herauszufordern, regelrecht unter Strom zu stellen. Auch bestimmte Testaufgaben haben gar keine Lösungen und provozieren regelrecht Ihr Scheitern. Hier sind weiterhin souveränes und freundliches Auftreten und keine Rechtfertigung gefragt!
In Gruppendiskussion lernen Sie Ihre Konkurrenz kennen und müssen sich ihr gegenüber behaupten – und zwar thematisch wie persönlich. Schnell zeigt sich, wer ein guter Teamplayer und wer eher ein Einzelkämpfer ist, wer Verantwortung oder eine ausgleichende Rolle in der Gruppe übernimmt.
Doch welcher Typus ist überhaupt gefragt? Wird eine entscheidungsfreudige Führungskraft oder ein williger Trainee, eine internationaler Spezialist oder ein teamfähiger Projektmanager gesucht? Die Kriterien, nach denen beurteilt wird, hängen von der zu besetzenden Stelle und auch von der jeweiligen Unternehmenskultur ab.
Wichtig ist nicht nur das persönliche Auftreten, sondern auch die thematische Argumentationsstärke. Aber auch bei dieser Aufgabe zeigt sich das Verhalten der Bewerber im Team: Wer versucht, durch eine große Anzahl logischer Argumente zu überzeugen, wer hört zu und versucht, Harmonie herzustellen, wer schlägt Kompromisse vor und wer agiert als Diskussionsleiter?
Wichtig zu berücksichtigen ist: Keine Rolle gilt als besonders "gut". Jemand, der ausgleichend argumentiert, ist genauso fähig wie jemand, der in der Gruppenaufgabe die Führungsrolle übernimmt. Trotz aller Vorbereitung, entscheiden hier am Ende immer die Personaler entsprechend der zu besetzenden Stelle und der bereits vorhanden Team-Konstellationen.
Besonders beliebt für (angehende) Fach- und Führungskräfte ist das Rollenspiel im Assessment Center: Die Bewerber werden etwa in die Rolle eines Abteilungsleiters versetzt, der seine unwilligen Mitarbeiter motivieren soll. Oder in die Rolle eines Personalverantwortlichen, der eine unangenehme Verwarnung oder Kündigung mitteilen muss. Oder sie spielen einen Vertriebsmitarbeiter, der einen schwierigen Kunden überzeugen muss. Für die Rollen gibt es zumeist nur eine sehr kurze Vorbereitungszeit während des Assessment Centers, dann werden die Situationen gemeinsam mit einem Mitbewerber oder auch bereits Angestellten durchgespielt.
Wichtiger Tipp: Nicht in Stereotype wie „strenger Chef" oder „mitfühlender Personaler" oder auch „hyperambitionierter Vertriebler" zu verfallen, sondern so zu agieren, wie es dem eigenen Charakter und den eigenen Einstellungen entspricht. Schließlich möchte man sich nicht ein Berufsleben lang verstellen müssen, wenn man aufgrund eines falschen Eindruckes eingestellt wurde und anschließend nicht zur Unternehmenskultur passt.
Bei guten Assessment Centern findet am Ende des Verfahrens mit jedem einzelnen Kandidaten ein Feedback-Gespräch statt, bei dem er dann auch – meist erstmalig – selbst Fragen stellen kann. Manche Auswahlkomitees sparen sich diesen Schritt aber auch; sie selbst haben ja bereits alle Ergebnisse, die sie brauchen…
Tipp: Im Öffentlichen Dienst etwa ist womöglich selbst das Interview standardisiert und allen Bewerbern werden dieselben Fragen in demselben Zeitraum gestellt. Hier gilt es, sich kurz zu fassen, die wichtigsten Stichworte für die eigene Eignung parat zu haben und die Antworten etwa gleich lang zu beantworten – bevor die Zeit pro Bewerber abgelaufen ist!
Nicht immer ist ersichtlich, wie und ob die Bewerber unter Beobachtung stehen. Schon die Anmeldung an der Rezeption oder das Auftreten gegenüber dem Catering-Personal kann beim Assessment Center mitbewertet werden. Zwischen den Vorstellungsrunden und Aufgaben gibt es in der Regel mehrere Pausen, in denen die Kandidaten sich miteinander sowie mit der Auswahljury unterhalten und gemeinsam etwas essen können – wer sich dann für eine Pause im Alleingang entscheidet, hat meist schon schlechte Karten.
Denn die gemeinsamen Pausen dienen nicht unbedingt der Erholung und einem unverbindlichen Smalltalk – mit Sicherheit werden auch Etikette und Teamfähigkeit registriert. Nicht selten hat schon ein morgenmuffeliger Gruß gegenüber der Assistentin Minuspunkte gebracht – womöglich werden im Nachgang auch nicht direkt am AC Beteiligte nach ihrem Eindruck gefragt.
An dieser Stelle wird der Laborversuch zum echten, beobachtenden Feldexperiment: In scheinbar natürlicher Atmosphäre vergisst der ein oder andere Kandidat mit Sicherheit seine sorgsam aufgebaute Außendarstellung – und der Erkenntnisgewinn für das Unternehmen ist umso größer.
Insbesondere Großkonzerne mit Tausenden von Bewerbungen auf wesentlich weniger Stellen und auch sehr beliebte öffentliche Arbeitgeber wie der Diplomatische Dienst setzen auf eine Vorauswahl via Online Assessment. Für die Personalabteilungen ist das eine enorme Arbeitserleichterung und spart zudem Reisekosten und Catering. Statt alle Kandidaten einzubestellen, werden diejenigen mit einem vielversprechenden Anschreiben und Lebenslauf erst einmal zu einem Online-Test geladen. Wer besteht, kommt in die nächste Phase – in der Regel geht es dann erst einmal ins Telefon-Interview oder auch direkt ins persönliche Gespräch.
Die inhaltliche Palette der Online Assessments reicht von psychologischen Persönlichkeitstests über Stresstests, die Konzentration und Leistung unter Zeitdruck abfragen, bis zu so genannten Intelligenztests. Zwar werden diese Tests oft auch während eines Assessment Centers vor Ort eingesetzt, doch ist die Aussagekraft einer von der Person losgelösten Bewertung via Online Assessment und durch Personalverantwortliche und Führungskräfte ohne psychologische Ausbildung eher fraglich.